Kann § 24a StVG bei Unterschreitung des analytischen Grenzwerts vorliegen, scheidet Fahrlässigkeit bei längerer Dauer zwischen BtM-Konsum und Fahrtantritt aus, kann wegen der Höhe des festgestellten Wirkstoffs auf das Vorliegen einer Trunkenheit im Straßenverkehr gem. § 316 StGB wegen absoluter Fahruntüchtigkeit geschlossen werden? Rechtsanwalt Kämpf informiert Sie über aktuelle Probleme in der Rechtsprechung.

Sie sind in eine Verkehrskontrolle geraten? Es wurde eine Blutentnahme durchgeführt? In der Blutprobe befand sich THC, Amphetamin, Kokain bzw. Benzoylecgonin oder ein anderes Abbauprodukt eines Betäubungsmittels? Sie haben einen Anhörungsbogen wegen § 24a StVG oder bereits einen Bußgeldbescheid erhalten?

Nachfolgend gibt Ihnen Rechtsanwalt Kämpf, München, einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zur Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a StVG sowie der Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 StGB im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln.

1. Ist eine Verurteilung wegen § 24a StVG bei Unterschreitung des analytischen Grenzwerts möglich?

Nach der Rechtsprechung des OLG Jena (Beschluss vom 23. Februar 2012, Aktenzeichen: 1 Ss Bs 92/11) ist der objektive Tatbestand der Verkehrsordnungswidrigkeit des § 24a StVG nicht erfüllt, wenn die in der Blutprobe festgestellte Wirkstoffkonzentration des Betäubungsmittels den analytischen Grenzwerts unterschreitet. Es spiele hierbei keine Rolle, ob der Betroffene drogentypische Ausfallerscheinungen zeigt.
In dem zu Grunde liegenden Bußgeldverfahren stellte man in der bei dem Betroffenen entnommenen Blutprobe 0,6 ng/ml (Nanogramm/Milliliter) THC sowie 6,9 ng/ml Amphetamin fest. Der analytische Grenzwert für THC liegt bei  1,0 ng/ml, der von Amphetamin bei 25 ng/ml. Folglich unterschritten die bei dem Betroffenen festgestellten Werte von THC und Amphetamin je den analytischen Grenzwert. Gleichwohl stellte das erstinstanzliche Amtsgericht fest, dass der Betroffene unter der berauschenden Wirkung der zuvor konsumierten Betäubungsmittel ein Fahrzeug im Straßenverkehr führte. Schließlich seien dem kontrollierenden Polizeibeamten im Rahmen der Verkehrskontrolle die erweiterten Pupillen des Betroffenen aufgefallen. Das OLG Jena stützt seine gegensätzliche Einschätzung darauf, dass es unterhalb dieser Grenzwerte keine Erfahrungssätze für eine vorliegende Rauschmittelwirkung bei Bestehen bestimmter (drogentypischer) Ausfallerscheinungen gibt.

2. Wann liegt ein fahrlässiges Handeln im Sinne des § 24a StVG nach THC-Konsum oder dem Konsum anderer Betäubungsmittel vor?

Fahrlässig gemäß § 24a StVG handelt derjenige, der zeitnah zum Fahrtantritt Betäubungsmittel (Cannabis, Amphetamin, Kokain, Heroin, MDMA o.a.) konsumiert und das Fahrzeug führt, gleichwohl er erkannt hat oder hätte erkennen können und müssen, dass der Wirkstoff des Betäubungsmittels noch nicht komplett bzw. unter den analytischen Grenzwert abgebaut ist.
Nach einem Beschluss des OLG Hamm (Beschluss vom 15. Juni 2012, Aktenzeichen: III-2 RBs 50/12) kann es an der Erkennbarkeit der Wirkung fehlen, wenn der analytische Grenzwert lediglich geringfügig überschritten und zwischen Betäubungsmittelkonsum und Fahrtantritt längere Zeit vergangen ist. Weiter führt das OLG aus, dass die Feststellung drogentypische Ausfallerscheinungen (beispielsweise Finger-Finger-Test, Finger-Nase-Prüfung, Pupillen-Licht-Reaktion u.a.) nicht zwingend auf ein fahrlässiges Handeln schließen lassen. Vielmehr sei dahingehend festzustellen, ob der Betroffene diese drogentypischen Ausfallerscheinungen hätte bemerken und auf seinen vorausgegangenen Betäubungsmittel-Konsum zurückführen müssen.

Exkurs: Bin ich im Rahmen einer Verkehrskontrolle und Verdacht einer Fahrt unter Einfluss von Drogen dazu verpflichtet, die vom Polizeibeamten oder dem untersuchenden Arzt angeordneten Koordinationstests mitzumachen? Diese Frage ist eindeutig mit NEIN zu beantworten! Eine Verpflichtung des Betroffenen zu Mitwirkung an Koordinationstests, die ausschließlich (!) dazu dienen, drogentypische Ausfallerscheinungen festzustellen, besteht nicht. Bitte beachten Sie, dass bei Nachweis eines aktiven Betäubungsmittel-Wirkstoffs in Ihrem Blut „lediglich“ eine Verurteilung nach § 24a StVG (beim Ersttäter: 500 € Geldbuße, ein Monat Fahrverbot, vier Punkte in Flensburg) in Betracht kommt. Kann Ihnen zusätzlich eine drogentypische Ausfallerscheinung nachgewiesen werden, droht eine Verurteilung wegen des Straftatbestandes der Trunkenheit im Straßenverkehr gemäß § 316 StGB (beim Ersttäter: Geldstrafe in Höhe von 40-60 Tagessätzen, 7-10 Monate Entziehung der Fahrerlaubnis, sieben Punkte in Flensburg). Der Hinweis des kontrollierenden Polizeibeamten durch die Teilnahme an den Koordinationstests könne sich der Betroffene entlasten, ist schlicht gelogen. Ohne die Koordinationstests dürften nämlich in der Regel keine drogentypischen Ausfallerscheinungen festzustellen und folglich keine Verurteilung wegen Trunkenheit im Straßenverkehr möglich sein. Bei Teilnahme an den Koordinationstests kann sich der Betroffene also nur verschlechtern!

In dem dem Beschluss des OLG zu Grunde liegenden Sachverhalt ergab die Blutprobe des Betroffenen 1,8 ng/ml THC. Der analytische Grenzwert von THC liegt bei 1,0 ng/ml. Bei der ärztlichen Untersuchung ergaben sich verschiedene drogentypische Auffälligkeiten. So waren die Pupillen des Betroffenen erweitert, er führte die plötzliche Kehrtwendung und die Finger-Nase-Prüfung unsicher durch, außerdem war der Drehnystagmus 5 Sekunden grobschlächtig.

3. Kann die absolute Fahruntüchtigkeit bei Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB alleine mit dem hohen Wert des festgestellten Betäubungsmittel-Wirkstoffs begründet werden?

Selbst das vielfache Überschreiten des analytischen Grenzwerts ist nach einer Entscheidung des Landgerichts Waldshut-Tiengen (Beschluss vom 4. Juni 2012, Aktenzeichen: 4 Qs 12/12) nicht für eine Verurteilung wegen der Trunkenheit im Straßenverkehr (§ 316 Strafgesetzbuch) ausreichend. Die Blutprobe des dortigen Angeklagten ergab 13 ng/ml THC sowie 86 ng/ml Amphetamin. Der kontrollierende Polizeibeamte stellte keine Fahrfehler, aber starkes Lidflattern und keine Pupillenreaktion fest. Dem widersprach der die Blutentnahme durchführende Arzt. Dieser stellte beim Angeklagten keine Auffälligkeiten fest, dieser sei nicht merklich unter Drogeneinfluss gestanden (ein Schelm, der Böses dabei denkt). Die Pupillen des Angeklagten beschrieb der Arzt als unauffällig, dieser bestand den Finger-Finger-Test sicher. Dies reicht nach Auffassung des Landgerichts nicht zu einer Verurteilung wegen Trunkenheit im Straßenverkehr. Für eine solche müssten zusätzlich zu den festgestellten Betäubungsmittel-Wirkstoffen in der Blutprobe drogentypische Ausfallerscheinungen hinzutreten, die auf eine betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit schließen ließen. Dies sei bei einer schwerwiegenden Einschränkung der Wahrnehmung-und Reaktionsfähigkeit, fehlender Ansprechbarkeit et cetera gegeben. Gerötete Augen, erweiterte Pupillen oder eine verlangsamte Motorik seien als allgemeine Merkmale des Betäubungsmittelkonsums nicht ausreichend.
Die Entscheidung des Landgerichts stützt sich auf eine solche des BGH (Beschluss vom 21. Dezember 2011, Aktenzeichen: 4 StR 477/11). Auch der BGH sieht das alleinige, vielfache Überschreiten des analytischen Grenzwerts ohne Feststellung drogentypischer Auffälligkeiten als nicht ausreichend für die Annahme einer absoluten Fahruntüchtigkeit und mithin eine Verurteilung wegen der Trunkenheit im Straßenverkehr. Der dortigen Entscheidung lag eine Blutprobe mit Kokain zu Grunde. Es wurden 387 ng/ml Benzoylecgonin und Kokain in Höhe von 14 ng/ml festgestellt. Der analytische Grenzwert für Benzoylecgonin liegt bei 75 ng/ml.

Exkurs: Bitte beachten Sie, dass dies nicht bei einer Alkohol-bedingten Trunkenheitsfahrt gilt. Ab dem Grenzwert von 1,1 Promille liegt eine absolute Fahruntüchtigkeit vor. Ab diesem Wert müssen weder Fahrfehler noch anderweitig festgestellte Auffälligkeiten für eine Verurteilung nach § 316 StGB gegeben sein.

Eine Verurteilung wegen der Trunkenheit am Steuer bei Fahrten unter Einfluss von Betäubungsmitteln ist derzeit selbst bei mehrfachen Überschreitens des analytischen Grenzwerts nicht möglich. Hierzu müsste die höchstrichterliche Rechtsprechung zunächst Grenzwerte, ab denen eine absolute Fahruntüchtigkeit vorliegen soll, festlegen.

Tipp vom Strafverteidiger: Gerade bei Fahrten nach vorausgegangenem BtM-Konsum, unabhängig davon um welches Betäubungsmittel (Cannabis, Kokain, Heroin, Amphetamin, MDMA u.a.) es sich handelt, sollten Sie sämtliche Tests verweigern. Dies gilt sowohl für die Urinprobe, vor allen Dingen für die Koordinationstests, als auch für die Blutentnahme. Bezüglich der Blutentnahme sollten Sie aber lediglich Ihr Einverständnis verweigern und sich Ihr Blut zur Vermeidung körperlicher Gewalt durch den Polizeibeamten „freiwillig“ entnehmen lassen.

Quellennachweis Lichtbild: R_K_B by aksel – www.pixelio.de