Öffentlichkeitsfahndung, Voraussetzungen und Probleme bei der öffentlichen Fahndung nach Beschuldigten und Zeugen zur Identitätsfeststellung. Der Autor, Rechtsanwalt Kämpf, ist als Fachanwalt für Strafrecht in München ansässig.

Die moderne Technik – nahezu jedes Mobiltelefon verfügt mittlerweile über eine Kamera – führt ebenso wie die zunehmende Überwachung des öffentlichen Raums mittels Überwachungskameras vermehrt dazu, dass den Ermittlungsbehörden Fotos oder Videos von angeblichen oder vermeintlichen Beschuldigten vorliegen. Gerade bei Straftaten – häufig Körperverletzungsdelikten – im Bereich von S-Bahn oder U-Bahn und zwar sowohl in den jeweiligen Zügen, als auch dem Bahnsteigen, liegt vermehrt Bildmaterial vor. Die Verlockung für die Ermittler ist groß, dieses Datenmaterial zu Fahndungszwecken in der Öffentlichkeit zu nutzen. Gerade die Verbreitung im Internet in der Presse und in sozialen Netzwerken bringt erhebliche Probleme mit sich.

Nachfolgend erkläre ich Ihnen, wer für die Anordnung zuständig ist, welcher Straftat Sie bzw. der Beschuldigte verdächtig sein muss und die weiteren Voraussetzungen für die Öffentlichkeitsfahndung zur Aufklärung von Straftaten.

Wer ist für die Anordnung der Öffentlichkeitsfahndung zur Identitätsfeststellung zuständig?

Die öffentliche Fahndung zur Aufklärung von Straftaten unter Verwendung von Fotos des Beschuldigten oder Zeugen ist in § 131b StPO geregelt. Zuständig für die Anordnung ist das Gericht. Liegt Gefahr in Verzug vor, kann auch die Staatsanwaltschaft bzw. deren Ermittlungspersonen, also die Polizei, die Öffentlichkeitsfahndung anordnen. Sollte tatsächlich die Polizei eine entsprechende Anordnung treffen, muss diese zeitnah vom zuständigen Staatsanwalt bestätigt werden.

Was ist eine Straftat von erheblicher Bedeutung?

Die Öffentlichkeitsfahndung zur Identitätsfeststellung sieht vor, dass gegen den Beschuldigten der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung besteht. Ein Katalog der Straftaten, die in die Kategorie „von erheblicher Bedeutung“ fallen, wie beispielsweise bei der Anordnung der Telefonüberwachung gemäß § 100a StPO, existiert für die Öffentlichkeitsfahndung nicht. In Anlehnung an die Rechtsprechung zur Anordnung der DNA-Feststellung gemäß § 81g StPO wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung muss es sich mindestens um eine Tat aus dem Bereich der mittleren Kriminalität handeln. Sowohl Bagatellendelikte – beispielsweise ein Ladendiebstahl – oder geringfügige, insbesondere fahrlässige, Vergehen scheiden deshalb aus.

Bitte beachten Sie, dass hier anders als beispielsweise für den Erlass eines Haftbefehls kein dringender Tatverdacht notwendig ist. Es reicht ein einfacher Tatverdacht. Für diesen ist es ausreichend, dass nach kriminalistischer Erfahrung eine Straftat begangen worden ist. Die für die Anordnung von Untersuchungshaft große Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung wegen einer Straftat, der sich auf bereits vorliegende Beweismittel stützt, ist nicht erforderlich.

Was bedeutet die sog. Subsidiaritätsklausel in § 131b StPO?

Aus § 131b StPO ergibt sich, dass die Öffentlichkeitsfahndung zum Zweck, eine Straftat aufzuklären, lediglich dann zulässig ist, wenn andere Ermittlungsmaßnahmen in einem erheblichen Maße weniger erfolgversprechend sind oder die Ermittlungen wesentlich erschweren würden. Diese Regelung wird Subsidiaritätsklausel genannt. Sie bedeutet, dass mildere Ermittlungsmaßnahmen auch dann vorzugswürdig sind, wenn sie weniger erfolgversprechend sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Internet nicht vergisst. Einmal auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken veröffentlichte Lichtbilder sind de facto nicht mehr zu löschen.

Wie verhält sich die Öffentlichkeitsfahndung nach Zeugen? Gilt hier etwas anderes?

Auch nach Zeugen kann nach § 131b Abs. II StPO öffentlich gefahndet werden. Dies setzt zunächst voraus, dass die gesuchte Person als Zeuge Angaben zum Beschuldigten sowie zu den Tatumständen bzw. zum Tatablauf machen kann. Des Weiteren muss im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung nach Zeugen deutlich erkennbar sein, dass die gesuchte Person Zeuge und nicht etwa der Beschuldigte selbst ist.

Gleichwohl birgt die Fahndung nach Zeugen im Wege der öffentlichen Fahndung erhebliche Probleme. Zum einen besteht die Gefahr, dass der Zeuge in der öffentlichen Wahrnehmung in die Nähe des Beschuldigten gerückt wird. Zum anderen ist auch bei der Fahndung nach dem Zeugen die Löschung der Lichtbilder nach Erfüllung des Fahndung zwecks schwierig bzw. unmöglich. Das Persönlichkeitsrecht des Zeugen tritt hier nach dem Willen des Gesetzgebers hinter den Strafverfolgungszweck zurück.

Wie wirkt sich eine fehlerhafte Öffentlichkeitsfahndung aus? Können die dort erzielten Ermittlungsergebnisse verwertet werden?

Man könnte die Auffassung vertreten, dass fehlerhaft erlangte Beweismittel einem sogenannten Beweisverwertungsverbot unterliegen. Dies würde bedeuten, dass diese Beweismittel nicht zu Ihrer Verurteilung herangezogen werden dürfen. Genau diese „Frucht-des-verbotenen-Baumes“-Doktrin ist dem deutschen Strafprozess im Gegensatz zum angelo-amerikanischen Strafprozess fremd. Eine Disziplinierung der wissentlich falsch agierenden Ermittlungspersonen ist vom Gesetzgeber nicht gewünscht. Lediglich bei groben Verstößen, insbesondere nachweislich willkürlichem Fehlverhalten der Ermittlungspersonen, wird im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot angenommen.

Sie haben festgestellt, dass gegen Sie eine Öffentlichkeitsfahndung läuft. Wie sollen Sie sich verhalten?

Sie haben sich als die auf einem Foto im Internet oder in der Presse als einer Straftat verdächtige Person erkannt? Dann besteht eine durchaus relevante Chance, dass Sie auch von weiteren Personen aus Ihrem näheren Umfeld oder weiteren Bekanntenkreis erkannt wurden und diese ihr Wissen mit den Ermittlern teilen.

In diesem Fall empfehle ich Ihnen dringend, zeitnah Kontakt zu einem Fachanwalt für Strafrecht herzustellen und diesen mit Ihrer Strafverteidigung zu beauftragen. Holen Sie sich einen Profi ins Boot, damit Sie der mindestens personenmäßig überlegenen Polizei nicht alleine gegenübertreten müssen und möglicherweise durch deren Vernehmungstaktik überrumpelt werden.

Im Übrigen rate ich Ihnen dringend, zunächst von Ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen Sie müssen keine Angaben zur Sache machen. Dies mag angesichts der anscheinend erdrückenden Beweislage durch das vorliegende Bildmaterial abwegig erscheinen. Trotzdem: Bevor Sie die Entscheidung darüber treffen, ob und gegebenenfalls welche Angaben Sie tätigen möchten, sollten Sie über Ihren Rechtsanwalt Akteneinsicht in die Ermittlungsakte und insbesondere in die den Ermittlern vorliegenden Bild-und/oder Videodateien nehmen.

Tipp vom Fachanwalt für Strafrecht: Wenn nach Ihnen gefahndet wird, sollten Sie Ihre Rechte als Beschuldigter im Strafprozess verinnerlicht haben:

1. Sie müssen nichts zur Sache sagen, deshalb Schweigerecht ausüben!

2. Beauftragen Sie zeitnah einen Fachanwalt für Strafrecht.

3. Nehmen Sie über Ihren Rechtsanwalt Akteneinsicht in die Ermittlungsakte, damit Sie den gleichen Informationsstand wie die Ermittler haben.

4. Erst nach (!) erhaltener Akteneinsicht können Sie die Beweislage beurteilen und die Verteidigungsstrategie festlegen. Lassen Sie sich von anderslautenden Aussagen der Ermittlungspersonen nicht beirren.

Quellennachweis: Falk Jaquart, Stephanie Hofschlaeger – pixelio.de