Fachanwalt für Strafrecht Kämpf aus München berichtet über die Stärkung von Beschuldigtenrechten aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Falle rechtswidrig angeordneter Hausdurchsuchungen bei fehlerhafter Annahme von Gefahr im Verzug seitens der Staatsanwaltschaft.
Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte von Beschuldigten bei Hausdurchsuchungen und schiebt der ausufernden Praxis von Polizei und Staatsanwaltschaft, den Richtervorbehalt bei der Anordnung von Durchsuchungsbeschlüssen auszuhebeln, den Riegel vor. Mit Beschluss vom 16. Juni 2015 (Aktenzeichen 2 BvR 2718/10; 2 BvR 1849/11 und 2 BvR 2808/11) hat das Verfassungsgericht über drei Verfassungsbeschwerden entschieden.
Allgemeine Informationen zum Verhalten als Beschuldigter bei einer Hausdurchsuchung finden hier.
Welche Sachverhalte lagen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde?
Das Bundesverfassungsgericht sah in allen drei Fällen durch die seitens der Staatsanwaltschaften angeordneten Hausdurchsuchungen das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 Grundgesetz der Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt. Die Staatsanwaltschaft hatte jeweils den zuständigen Richter erreicht und den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragt. Die dort beteiligten Richter lehnten dies ohne Kenntnis der Ermittlungsakte ab und verlangten deren Vorlage. Aufgrund des hierdurch eintretenden Zeitverlusts und des hieraus resultierenden Beweismittelverlusts bzw. der Gefahr für Leib und Leben einer Anzeigeerstatterin nahmen die Staatsanwaltschaften ihre Eilkompetenz an und ordneten die Durchsuchungen jeweils selbst an.
Im ersten Verfahren (AZ: 2 BvR 2718/10) ging es um ein Ermittlungsverfahren wegen einer Bedrohung gem. § 241 StGB. Der dortige Beschuldigte wurde verdächtigt, im Besitz einer Schusswaffe gewesen zu sein und der Mutter des Anzeigeerstatters gedroht zu haben, diesen umzubringen.
Dem zweiten Verfahren (AZ: 2 BvR 1849/11) lag ein Ermittlungsverfahren wegen des Versuch der Beteiligung an einer Brandstiftung gem. §§ 30 Abs. 2 und 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB zugrunde. Die Beschuldigte war in einem Internetcafe durch einen Zeugen beim Verfassen eines Schreibens beobachtet worden, in dem sie sich selbst eines geplanten Brandanschlags auf KFZs der Firmen DHL und der Deutschen Post AG bezichtigte.
Gegen den Beschuldigten des dritten Verfahrens (AZ: 2 BvR 2808/11) ermittelte die Polizei wegen des Verdachts des Inverkehrbringens nicht zugelassener Arzneimittel nach §§ 96 Nr. 5 und 73 Abs. 3 AMG. Der Tatverdacht resultierte aus einem Zeitungsartikel, in welchem über den Beschuldigten als Importeur und Lieferanten von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln an eine Apotheke berichtet wurde.
Da die Ermittlungsbehörden den zuständigen Richter in allen Fällen erreichten und dort den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragten, endete deren Eilzuständigkeit. Der Rechtsbegriff der Gefahr in Verzug sei eng auszulegen. Diese sei lediglich dann gegeben, wenn der zuständige Richter nicht erreicht werden könne und hierdurch eine richterliche Durchsuchungsanordnung scheitere. Nach dem Erreichen des zuständigen Richters lebe die Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft weder aufgrund des drohenden Verlusts von Beweismitteln noch bei Gefahr für Leib und Leben wieder auf. Irrelevant sei der Grund für die verzögerte Entscheidung des Ermittlungsrichters über den Durchsuchungsbeschluss. Auch die mangelhafte personelle oder sachliche Ausstattung der Justiz sei kein ausreichender Grund für die Annahme der Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden. Die Strafjustiz habe dafür Sorge zu tragen, dass sie über ausreichende Ressourcen verfügt, um eine funktionierende Strafrechtspflege zu gewährleisten. Etwaige Gefahren für Leib und Leben der Anzeigeerstatter müsse in solchen Fällen beispielsweise durch Polizeischutz oder andere geeignete Maßnahmen ausgeschlossen werden.
Etwas anderes gelte lediglich dann, wenn nach dem Erreichen des Richters neue Tatsachen hinzutreten, welche Gefahr in Verzug begründen.
Wer darf eine Hausdurchsuchung anordnen? Wann ist Gefahr im Verzug gegeben?
Die Anordnungskompetenz liegt zunächst gemäß § 105 Abs. 1 StPO beim zuständigen Richter. Lediglich in Fällen von Gefahr in Verzug dürfen Polizei oder Staatsanwaltschaft die Durchsuchung selbst anordnen.
Gefahr in Verzug ist gegeben, wenn durch den Zeitverlust aufgrund einer richterlichen Anordnung der Zweck der Hausdurchsuchung gefährdet und der Verlust von Beweismittel zu befürchten steht. Hierzu ist eine Einzelfallabwägung nötig. Gefahr im Verzug kann insbesondere nicht auf bloße Vermutungen, Hypothesen oder sogenannte kriminalistischer Erfahrungen gestützt werden.
Tipp vom Fachanwalt für Strafrecht: Eine Hausdurchsuchung stellt regelmäßig einen sehr belastenden Eingriff in Ihre Privatsphäre dar. Im Falle einer solchen haben Sie im Wesentlichen drei Dinge zu beachten: Sie sollten von Ihrem Schweigerecht Gebrauch machen, also keine Angaben zur Sache (auch nicht zu Ihrem Betäubungsmittelkonsum!) tätigen. Außerdem rate ich Ihnen der Hausdurchsuchung zu widersprechen. Durch die freiwillige Herausgabe der gesuchten Gegenstände können Sie regelmäßig eine weitergehende Durchsuchung samt möglicher Zufallsfunde abwenden. Gerne stehe ich Ihnen als Ihr Strafverteidiger zur Seite.
Quellennachweis: Michael Grabscheit – pixelio.de